Über diese Einspielung
Das "Buch der
Klagelieder" besteht aus insgesamt fünf Liedern. Die
ersten drei wurden in die christliche Liturgie der Karwoche
übernommen und deshalb auch seit dem Mittelalter immer wieder
vertont. Die hinsichtlich des Textinhaltes uneinheitlich
wirkenden Lieder sind durch ihre äußere Form als Einheit
ausgewiesen. Sie gehören zu den "alphabetischen
Dichtungen", d.h. das erste Wort jedes Verses bzw. jeder
Strophe beginnt jeweils mit dem entsprechenden Buchstaben des
hebräischen Alphabets (Aleph, Betha, Gymel, etc.). Diese
Anfangsbuchstaben forderten die Komponisten aller Epochen immer
wieder zu besonderen Gestaltungen heraus, so wie in den
mittelalterlichen Bibeln die Initialen eines Kapitels immer
besonders kunstvoll ausgeziert wurden. Die aus der jüdischen
Tradition stammende Auffassung, Jeremia sei der Verfasser der
Klagelieder, findet in der neueren Forschung kaum mehr
Zustimmung. Demgegenüber kann als gesichert gelten, daß die
Klagelieder im Kontext der Eroberung und Zerstörung Jerusalems
durch die Babylonier 587 v. Chr. entstanden sind, wobei strittig
bleibt, ob die Klagelieder von einem oder mehreren Verfassern
stammen.
Maria Jonas und Norbert
Rodenkirchen haben für die Ersteinspielung von John Tuders
Lamentationen die Besetzung Stimme, Flöte und Symphonie
gewählt. Es ist zwar nicht eindeutig festzustellen, ob Tuders
Klagegesänge als einstimmige Komposition gedacht waren oder ob
die einzig überlieferte Gesangsstimme lediglich die Oberstimme
eines mehrstimmigen Satzes darstellt. Das Ensemble DIPHONA geht
jedoch davon aus, daß das Werk als einstimmig modale Musik
komponiert worden ist.
In der vorliegenden Aufnahme
füllt somit die Gesangsstimme über dem durchgehenden
Bordunklang der Symphonie den überlieferten, monophon
interpretierten Rahmen der Komposition Tuders aus. Die Flöte
gestaltet die zahlreichen von John Tuder textlos belassenen
Phrasen, wodurch ein natürliches Wechselspiel zwischen Stimme
und Flöte entsteht. Ferner fallen der Flöte begleitende
Aufgaben wie Umspielung und Ausschmückung der Gesangsstimme zu,
gelegentlich auch eine Erweiterung des Klangbildes in eine
improvisierte Polyphonie "super librum". Einzelne
Abschnitte werden zudem durch instrumentale Interludien im Stile
des 15. Jh. verknüpft. Instrumentale Improvisation über vokale
Vorbilder war eine weit verbreitete Praxis im 15. Jh. und ist
uns in frühen Orgelbüchern vielfältig überliefert, etwa bei
Adam Ileborg von Stendal, 1448. Die Flöten-Interludien
orientieren sich an dieser Tradition. Zusätzlich erklingt
zwischen Teil I und II der Klagelieder Jeremias die einstimmige
Komposition O lux beata trinitas von John Tuder als Flötensolo.
Dieses Stück erscheint ebenso wie die Klagelieder Jeremias
erstmals auf CD.
Bei der Interpretation des
lateinischen Textes der Klagelieder Jeremias entschied sich das
Ensemble DIPHONA für die "italienische" Aussprache
und bezieht sich hiermit auf die sprachlichen Leitlinien des
Erasmus von Rotterdam. |